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Making of: Sind dann mal weg, Teil 1 (Reisetagebuch)

08. Oktober 2017 | Sind dann mal weg

Reisetagebuch:
Dreieinhalb Wochen Skandinavien

Ich liebe Recherchereisen. Und speziell die zu meinem gerade im Heyne Verlag erschienene Roman „Sind dann mal weg“ hatte es in sich: Der Plan war, exakt die gleiche Route zu nehmen wie meine wunderbar eigensinnigen Hauptfiguren Tina, Paul, Hedi, Karel. (Tina übrigens heißt nicht nur wie meine Großmutter, sie ist auch von ihr inspiriert). Und da die vier nicht fliegen können (Grund dafür sind ein Vierbeiner, eine Straftat und ein falsches Knie), war auch ich mit Zügen, Bergbahnen und Bussen unterwegs.

Erste Etappe: Richtung Kopenhagen

Die Zugfahrt nach Kopenhagen ist ungewöhnlich – immerhin fährt man mit dem Zug auf die Fähre, muss dann jedoch den Zug verlassen und vor dem Anlegen wieder einsteigen. Aber vermutlich macht es Sinn, wer will schon, wenn die Fähre untergeht, doppelt verpackt sein … Nun, wir jedenfalls sind nicht untergegangen, dafür wurde ich auf einen Schnaps zum Kaffee eingeladen … ist ja auch schon nach zwölf Uhr und damit Nachmittag …

Reiseblog oeppet

Kopenhagen

Was mir sofort auffällt: Es gibt unglaublich viele Kaffeehäuser und Friseure hier, und da dachte ich schon, Berlin hätte verhältnismäßig viele davon pro Einwohner … Ersteres hat mir heute mein Vermieter für die nächsten Nächte damit erklärt, dass sie (die Dänen) es eben gerne gemütlich haben (hyggelig). Und dazu gehören Kerzen (wahlweise mit heimeligen Duft), weiche Decken fürs Sofa, dicke Pullover und Mützen, Selbstgemachtes UND: Kaffee trinken zu gehen mit Freunden und solchen, die es werden sollen. Wir haben uns gleich mal für Morgen zum Kaffeetrinken verabredet.

Heute habe ich einen alten Freund und Studienkollegen getroffen, der inzwischen Professor an der Kopenhagener Universität ist. Das Univiertel hat mich umgeblasen: Die Architektur! Die Innengestaltung der Räume!! Die Bibliothek! Man möchte sofort Designpreise verleihen, selbst wenn man keine Ahnung davon hat … Gegen fünf begannen sich die Hallen schlagartig zu leeren. Offensichtlich wird hier sehr auf Vereinbarkeit von Studium/Beruf und Familie geachtet: Ab frühen Nachmittag beginnen die privaten Stunden und keiner findet das seltsam oder erwartet, dass man trotzdem noch schnell etwas fertig macht und abgibt …

Und sonst:

  • Die U-Bahnen haben keine Fahrer.
  • Es gibt schätzungsweise 1300 verschiedene Varianten Schokolade mit Lakritz und ebenso viele Wodka mit Geschmack.
  • Ich war in einem Popup-Restaurant, das schon eine Woche später wo anders eröffnet. Und die Unisex-Toilette war an einer Seite eines ehemaligen Schlafzimmer …
  • Hier gibt es ein Bier, das so heißt, wie einer meiner Lieblings-Comicverlage (Dark Horse).

Stockholm

In Stockholm übernachte ich in einer Studenten-WG etwas außerhalb der interessanten Ecken. Dafür ist es ruhig und günstig und der Bus hält genau vor dem Hochhaus. Im Hinterhof führen Erwachsene ihr Kinder oder Hunde spazieren. So ganz unterscheiden kann man das nicht – alle sind dick verpackt und wattiert. Und angeblich ist es eine Schwedische Eigenheit, die Kinder schon früh an die herrschenden Außentemperaturen zu gewöhnen. Daher bleiben die Kinderwähten mit den kleinen eingewickelten menschlichen Raupen bei einem Kaffeebesuch (ja, auch die Schweden sind ganz wild drauf) gerne mal vor der Tür stehen …

Apropos Café: Ich habe heute ein speziell tolles entdeckt: Es sah super gemütlich aus – zusammengewürfelte Sessel, ein altes Klavier (verstimmt), wirre Ölgemälde an den Wänden, unterschiedliche Zimmerpflanzen. Und für skandinavische Verhältnisse waren die drei Gerichte zur Auswahl auch tatsächlich zu bezahlen. Ich also rein, mich gefreut und aufgewärmt und den Jungen hinter dem Tresen gefragt, ob er mir übersetzen kann, was es heute zum „lunch“ gibt und was er selbst denn nehmen würde. Erst als ich längst fertig mit Essen war und mich in einem sehr interessanten Gespräch mit meinen Tischnachbarn (vier ältere Damen, ein alter Herr) befand, begriff ich schließlich, wo ich war: In einem Nachbarschaftscafe für Senioren der frälsningsarmén (Heilsarmee). Sehr gutes Konzept. Ein bisschen wie die Kiezkantine in der Oderberger.

Und sonst:

  • Die leckersten Zimtkringel der Welt (und auch noch warm)!
  • Auch in Stockholm wird Guerilla-gestrickt und zwar nicht zu knapp.
  • Der landeseigene Wolpertinger heißt Skvader und ist eine Mischung aus Vogel und Hase.
  • Vor Urzeiten gab es einmal eine Fenstersteuer, daher existieren noch immer Häuser mit nur aufgemalten Fenstern.
  • Und: Ich bin ab sofort Fan von Grönsaker. Smoothies mit ganz tollen Kombinationen. Bessere gibt es nur in den Niederlanden bei Albert Heyn (Gurke, Sellerie, Minze)!

Oslo

Das Grandhotel wird gerade renoviert, was ein bisschen schade ist, denn von außen sieht es aus wie eine Zirkusattraktion – in schwarze Klebefolie verpackte Bauzäune mit Gucklöcher, die einen Blick in die Zukunft versprechen. Zum Glück ist innen alles begehbar und ich bekomme eine Führung. Die dicken Teppiche und Tapeten schlucken Geräusche und das ganze Gebäude scheint mehr oder minder aus herrschaftlichen Treppen und Gängen zu bestehen. Ich habe während meiner Tour drei Flügel gezählt (alle in irgendwelchen versteckten Privatecken unter … klar … einer Treppe). Doch die beste Musik kommt vom Rathaus – was für eine wilde und revolutionäre Idee!

Und sonst:

  • Oslo hat einen Wasserfall mitten in der Stadt, bis ich den erreicht habe, hat es mich diverse Male beinahe auf die Nase gelegt. Die Parks eignen sich momentan besser zum Schlittschuhlaufen als zum Lustwandeln.
  • Dabei bin ich allerdings einem sehr lustigen Wegweiser begegnet. Er zeigte nach Monster und nach Storyline. Was für eine super Mischung!
  • Es gibt tatsächlich Piebäckereien, die ebenso viele herzhafte wie süße Pastetchen anbieten … endlich mal nicht nur Apfelzimt oder Johannisbeere, sondern Fisch, Meerrettich, Elch und Rentier …

Flåm

Weiter geht die Reise in Richtung Bergen, wo ich in ein paar Tagen an Bord der Midnatsol gehe, eines der Schiffe der norwegischen Postschiffe (Hurtigruten). Doch zuvor mache ich einen Zwischenstopp an einer der abgelegendsten Mikrobrauereien Skandinaviens: die Ægir-Brauerei in Flåm. Erreichbar ist der kleine Ort momentan am besten mit der Flåmbahn. Die Straßen sind kurvig und vereist. Und langsam aber sicher ist es kalt genug für eine Mütze. Und Handschuhe. Und mehrere Schals. Und Schneeschuhe … Warum habe ich mir nicht einen Grog-Brauer zum Interview gebeten …frage ich mich aber dann:

Wird natürlich doch alles gut. Das Biertasting und Braumeister Kris begeistern und inspirieren mich (am liebsten würde ich zuhause auch gleich mit dem Brauen anfangen, aber wir haben etwas zu wenig Platz in der Küche). Im Restaurant ist es warm genug, dass ich auftaue, ich bekomme einen Vikinger-Burger und muss daran denken, dass HBO Hier für eine Serie Werbung macht, die in Deutschland kein Mensch kennt: Vikings. (Inzwischen läuft sie natürlich auch hier.) Und zu guter letzt finde ich auch noch eine Mütze. Mit Bommel. Es kann weiter gehen.

Bergen

Bergen ist nun wirklich keine Stadt für ältere Menschen, das erklärt mir auch mein Gastgeber, der zwar nicht älter ist aber gerade aus dem Krankenhaus gekommen ist und viermal so lange wie normal für jeden Weg braucht … öffentliche Verkehrsmittel sind hier Mangelware. Busse kommen erst gar nicht um die Ecken der engen Straßen und die einzige Bahn – strenggenommen eine Standseilbahn – genannt Fløibahn fährt nach oben zur Aussichtsplattform des 320 Meter hohen Fløien über der Stadt. Abkürzen kann man die S-Kurven der Sträßchen allerdings: über die schätzungsweise 1254 Stufen der vielen Treppen. Bergen ist also nichts für Fußversehrte, Hackenporscheziehende oder Kinderwagenschiebende. Warum ausgerechnet eines der Seniorenheime, die ich besuche oben auf einem Hügel liegt … man weiß es nicht, kann sich aber seinen Teil denken!

Natürlich muss ich zum Fløien hoch und runtergucken. Was für ein Glück, dass ich das nicht zu Fuß machen muss, meine Güte ist das steil! Von hier oben hat man einen super Blick auf ganz Bergen. Das erste Mal sehe ich auch den Hafen der Hurtigruten … Hinter mir allerdings wird es gefährlich, das hat mir der Touristenguide am Bahnhof gesagt, mein Gastherr und das Mädchen im Cafe: Denn nach dem kleinen Restaurant mit Spielzeug führen einige Wege in den stillen Wald. Einer davon, Trollweg genannt, beherbergt – nun ja, ratet mal – genau: Trolle. Und Trolle nehmen sich nicht nur Zeug, das schön glänzt und glitzert, weshalb ich eigentlich in Sicherheit sein sollte, Trolle nehmen sich alles, woran sie Gefallen finden.

Und sonst?

  • Das allererste Mal in meinem Leben bekomme ich einen Aeropress-Kaffee serviert und dessen Vorzüge von der Barista derart kompetent und ausführlich erläutert, dass ich von jetzt an nur noch Aeropress will! Außerdem hat sie viele interessante Tattoos und lustige Legenden auf Lager.
  • Zum Interview über „Leben im Alter in Bergen“ bekomme ich Spaghetti mit Köttbölla – passt überraschend gut zusammen.
  • Und des Nachts schleicht sich eine lebendige (und lautstarke) Wärmflasche in mein Bett
Simone Veenstra